Natur erleben

MOOR-Momente

Schwarz-Rot-Gold

Die Fußball-Europameisterschaft ist vorüber, die Dekorationen in Schwarz-Rot-Gold sind weitgehend verschwunden. Es gibt jedoch einen, der diese Farben immerzu trägt, auch wenn er sich sicher nicht für Fußball interessiert. Der Stieglitz, ein kleiner Vogel aus der Familie der Finken.

Der Stieglitz ist einer unserer buntesten Singvögel. Mit seiner roten Gesichtsmaske und dem gelben Flügelstreif, der auch im Flug zu erkennen ist, ist er aus der Nähe betrachtet unverwechselbar. Der restliche Flügel und der Schwanz sind schwarz. Die Farben wirken in das ansonsten beigebraune und weiße Gefieder förmlich hineingekleckst. Nach Oskar Dähnharts Natursagen von 1910 waren dem lieben Gott, als er den Tieren ihre charakteristischen Färbungen verlieh, die Farben bereits ausgegangen, als ganz zum Schluss noch der Stieglitz herbeieilte. Als er das unscheinbare und jammernde Vögelein sah, erbarmte sich Gott, kratzte aus allen Farbtöpfen noch die letzten Reste zusammen und konnte so dem Stieglitz doch noch bunte Farben schenken. 

Dass der Stieglitz einen besonderen Bezug zur Religion hat, zeigt sich schnell, wenn man entsprechende Malereien und Darstellungen genauer betrachtet. Madonnenbilder mit Kind und Vogel zeigen zumeist einen Stieglitz. Er findet sich auf Darstellungen zu Jesu Geburt und vom Garten Eden sowie auf Passions- und Heiligenbildern. Begründet wird diese Verbindung durch die starke Affinität des Stieglitzes zu Disteln mit ihren Dornen. Der Stieglitz wird als Hinweis auf den Opfertod von Jesus interpretiert. Bei dessen Kreuzigung soll der ehemals schlicht gefärbte Vogel einen Dorn aus der Haut des Gottessohnes gezogen haben, um dessen Qualen zu lindern, und sein Gesicht dabei mit dem heiligen Blut besprenkelt haben – so eine weitere Sage über die Entstehung der markanten Gesichtsfärbung des Vogels. 
Die Vorliebe des Stieglitzes für stachelige Nahrungspflanzen hingegen ist hinreichend belegt und gab ihm seinen zweiten Namen Distelfink. Zwar besitzt er, wie alle Vertreter der Familie, den typischen, kräftigen Finkenschnabel, doch ist dieser im Vergleich zu den anderen Körnerfressern länger und deutlich spitzer, nahezu pinzettenhaft. In Kombination mit einer besonderen Kletterfähigkeit, die ihn auch schräg oder sogar Überkopf an den Futterpflanzen hängen lässt, hat der Vogel die Samen von Disteln und anderen stacheligen Pflanzen, wie Wilde Karde oder Klette, quasi für sich allein. Wenn man ihn nicht gerade bei der spektakulären Nahrungsaufnahme beobachtet, bleibt der auffällig gefärbte Vogel eher unauffällig. In den Baumkronen sitzend nimmt man ihn erst wahr, wenn er seinen leisen, aber schnellen Gesang aus trillernden und zwitschernden Sequenzen vorträgt, in den stets die hüpfenden und fröhlichen „sticke-litt“-Rufe eingewoben sind. Diese sind auch meist im Flug zu hören und waren namensgebend für den Stieglitz. Als Lebensraum bevorzugt der Stieglitz eine samenreiche Kulturlandschaft, aber auch lichte Waldränder und Hecken oder Parks. In Bad Wurzach kann man ihn sowohl in der Stadt, als auch im Kurpark und in den Randbereichen des Wurzacher Rieds antreffen. Vielleicht lässt der kleine, schwarz-rot-gold gefärbte Piepmatz ihren Ärger über das verpasste EM-Halbfinale ja etwas abklingen und erfreut Sie mit seinem Gesang und seiner Anwesenheit!
 

 

Der Schmarotzer

Im Riedwald, der überwiegend von grünen Farbtönen dominiert wird, fällt aktuell an vielen Stellen eine Pflanze besonders auf. Ihre Blüten sind leuchtend gelb und stehen zu mehreren untereinander nahezu waagrecht vom Stängel ab. Es ist der Wachtelweizen, der mit einer Höhe von bis zu 50 Zentimetern aus dem Schatten der Bäume heraus seine Blüten der Sonne zuwendet. 

Das Licht benötigt der Wachtelweizen für die Photosynthese, ein komplexer biochemischer Prozess, bei dem Pflanzen aus Kohlendioxid und Wasser die für ihre Ernährung notwendigen Zuckerstoffe herstellen. Gleichzeitig benötigen sie für das Wachstum aber auch verschiedene Nährsalze. Diese holt sich der Wachtelweizen nicht nur aus der Erde, wie bei den meisten Pflanzen üblich, sondern er bedient sich als sogenannter Halbschmarotzer zusätzlich bei anderen Pflanzen, z.B. Fichten oder Heidelbeeren. Seine knotigen Saugorgane sitzen auf den Wurzeln dieser Wirte und entziehen ihnen gelöste Nährsalze und auch Wasser. Um gegen die Saugkraft der Wirte anzukommen, hat der Wachtelweizen eine besonders hohe Verdunstungsrate. Dies äußert sich dadurch, dass die Pflanze nach dem Abpflücken sehr rasch welkt. 

Die Gattung Wachtelweizen ist in Deutschland mit mehreren Arten vertreten. Im Wurzacher Ried kommt insbesondere der Waldwachtelweizen vor. Ihren Namen erhielt die Gattung durch die irrtümliche Annahme, Wachteln würden die Samen der Pflanzen besonders gerne fressen. Dabei sind viele Wachtelweizen durch den Gehalt an Aucubin in allen Teilen schwach giftig und können bei Pflanzenfressern zu Vergiftungen führen. Für Mäuse wird sogar eine tödliche Wirkung der Pflanze angegeben. Verunreinigungen von Getreide durch Samen des Ackerwachtelweizens konnten früher sogar zu Mehlvergiftungen und zu einer Schwarzfärbung des Brotes führen. Gut also, dass im Naturschutzgebiet Wurzacher Ried keine Pflanzen gepflückt werden dürfen. Anschauen, Staunen und Bewundern hingegen sind völlig ungefährlich und selbstverständlich erlaubt – viel Vergnügen!
 

 

NeuntöterQuelle: NAZ

Der Spießer

Fanden Sie das Moor schon immer ein bisschen unheimlich oder gar gruselig? Dann wird es Sie sicher nicht wundern, dass sich dort aktuell der Neuntöter, auch Rotrückenwürger genannt, aufhält. An den Rändern des Rieds, wo Gehölze die Feuchtwiesen durchziehen, sitzt er hoch oben auf einem Busch und hat seine Umgebung gut im Blick – immer auf der Suche nach einem potenziellen Opfer. 

Dabei ist der Singvogel, der kleiner als eine Amsel ist, gar nicht so grausam, wie sein Name impliziert. Denn er tötet weder neun Opfer, wie früher im Volksglauben vermutet wurden, noch erwürgt er seine Beute. Dennoch hat der Neuntöter ein ungewöhnliches Nahrungsverhalten: Beutetiere, die er nicht sofort verzehrt, werden auf Dornen aufgespießt, um sie dort für einen späteren Zeitpunkt aufzubewahren. Klassische Vorratshaltung also. So findet man in Hecken und sogar an Stacheldrähten bisweilen Insekten, Insektenlarven, kleine Reptilien oder – spätestens jetzt wird es etwas unheimlich – eine Maus. Die Beute wird mitunter zuvor entstachelt oder zerteilt. 
Für diese Lebensweise benötigt der Neuntöter eine strukturreiche Landschaft mit offenen Plätzen zum Beutefang und Sonnenbaden, einem reichhaltigen Nahrungsangebot und natürlich mit ausreichend Sträuchern und Dornengebüschen. In diesen legt der Neuntöter auch seine Nester an. Sonnige, trockene Gebiete, Waldränder und Aufforstungen oder eben Moorgebiete können hierfür geeignet sein. Die Vögel überwintern im tropischen Afrika und sind etwa von Mai bis September in unseren Regionen anzutreffen. Zur Brutzeit sind sie als Paar unterwegs und sehr territorial. Das Männchen ist recht farbenfroh mit einem rotbraunen Rücken, hellrosa Brust und Bauch und schwarzem Schwanz. Sehr markant ist der Kopf mit grauer Oberseite, weißer Kehle und einem schwarzen Augenstreif, der an eine Zorro-Maske erinnert. Das Weibchen ist oberseits rotbraun gefärbt, hat eine cremeweiße Unterseite mit brauner Querbänderung und eine braune Augenmaske, die nicht so stark abgesetzt ist wie beim Männchen. 

Innerhalb ihres Brutrevieres haben Neuntöter oft bevorzugte Sitzwarten, wie Sträucher, Bäume, Zaunpfähle oder andere exponierte Orte. Je nach Tageszeit und Sonnenstand können diese auch wechseln. Im Wurzacher Ried lassen sich Neuntöter aktuell zum Beispiel am westlichen Riedrand im Bereich der Riedschmiede oder entlang des Radweges zwischen Dietmanns und Albers beobachten. Halten Sie dort also Ausschau nach Zorro und bleiben Sie gelassen, wenn Sie aufgespießte Tiere entdecken. Und wenn Sie noch weitere ungewöhnliche Nahrungsstrategien kennenlernen möchten, dann freuen Sie sich schon mal auf die nächsten Moor-Momente.  
 

 

SumpfrosmarinQuelle: NAZ

Achtung, Doppelgänger!
 

Moment mal, wieso wächst denn Rosmarin im Moor? Auf den ersten Blick sieht die Pflanze in den Hochmoorbereichen des Wurzacher Rieds tatsächlich aus wie Rosmarin. Und sie heißt zudem auch Sumpfrosmarin. Dieser Name ist in zweierlei Hinsicht unpassend, denn die Pflanze wächst nicht im Sumpf, sondern im Moor. Dieses unterscheidet sich von einem Sumpf beispielsweise durch die Art des Bodens. Zudem ist der Sumpfrosmarin nicht näher mit dem Rosmarin aus der Familie der Lippenblütengewächse verwandt, sondern gehört als Zwergstrauch zur Familie der Heidekrautgewächse. 
Dennoch ist die Ähnlichkeit beider Pflanzen groß, ausgelöst durch eine Strategie, der beide folgen: Wassersparen durch Minimierung der Verdunstung. Hierfür bewähren sich schmale, randlich eingerollte, ledrige Blätter, die oberseits von einer wachsartigen Schicht überzogen sind und an der Unterseite eine dichte Behaarung aufweisen. Für den Rosmarin, der in den trocken-heißen Regionen des Mittelmeerraumes vorkommt, durchaus nachvollziehbar. Warum aber sollte der Sumpfrosmarin als Pflanze nasser Hochmoorstandorte Wasser sparen? Die Ursache liegt in der Nährsalzarmut dieses Lebensraums begründet. Die Pflanze verhindert einen starken Durchfluss von Wasser, denn dieser würde bei dem gegebenen Mangel an Stickstoff und Phosphor zum Verhungern der Pflanze führen. Hungeranpassung nennt man diese Strategie. Und so schafft es der Sumpfrosmarin, auch unter den extremen Hochmoorbedingungen zu bestehen. Die sogenannte Mykorrhiza, eine Symbiose mit einem Pilz, welcher den Sumpfrosmarin mit Salzen wie Phosphat und Nitrat sowie mit Wasser versorgt und im Gegenzug dafür Zuckerverbindungen erhält, trägt zusätzlich zu seinem Überleben bei. 
Aktuell zieren rosa Blüten den immergrünen Zwergstrauch und verleihen den Moorflächen dadurch zarte Farbtupfer. Sie sind wie kleine Glocken geformt und lassen ihren Blütenstaub auf die Blütenbesucher, insbesondere Bienen, Hummeln und andere Hautflügler, rieseln. So kommt die ansonsten eher unscheinbare Pflanze jetzt zur Blütezeit besonders schön zur Geltung, so dass sich bei Ihrem nächsten Riedspaziergang ein genauerer Blick auf die Hochmoorflächen am Torflehrpfad oder Wanderweg 1 durchaus lohnt. Und falls Sie sich jetzt noch fragen sollten, ob die Moorpflanze wenigstens geruchlich ihrem Namen alle Ehre macht, so müssen wir Sie auch hier enttäuschen, denn hier besteht im Gegensatz zum Aussehen keine Parallele zum mediterranen Rosmarin. Und von einem Verzehr des Sumpfrosmarins wird dringend abgeraten, da angenommen wird, dass die Pflanze stark giftig ist. Angeblich soll es sogar schon durch den Verzehr von Honig aus den Blüten zu starken Vergiftungen gekommen sein. Wir empfehlen daher: Nur gucken, nicht anfassen!
 

 

KreuzotterQuelle: NAZ

Schau mir in die Augen
 

Es liegt in der Evolution des Menschen begründet, dass Giftschlangen nicht gerade zu den Sympathieträgern der Tierwelt gehören. Für die einen sind sie faszinierend, für die anderen furchteinflößend. Dabei lohnt es sich durchaus, Angst und Abneigung einmal zu überwinden und einen Blick auf die Kreuzottern im Wurzacher Ried zu riskieren. 

Gute Chancen dazu bieten sich aktuell entlang des Radweges von Bad Wurzach nach Dietmanns. Kurz hinter dem Kurpark hat das Naturschutzzentrum den Gehölzrand in Form von mehreren Buchten aufgelichtet, um den wechselwarmen Tieren dort einen Ruheplatz abseits von Fahrradreifen zu schaffen. Bereits im März, manchmal sogar schon im Februar, wenn die Temperaturen wieder steigen, verlassen zunächst die männlichen und etwas später auch die weiblichen Kreuzottern ihre Überwinterungsquartiere und suchen ihre traditionellen Sonnenplätze auf. Von allen Schlangen hat die Kreuzotter das nördlichste Verbreitungsgebiet und kann mit Hilfe verschiedener Anpassungen auch mit niedrigeren Temperaturen zurechtkommen. So kann sie durch das Abspreizen der Rippen ihren Körper verbreitern und so mehr Sonnenwärme aufnehmen. Spätestens im April kann man dann mit etwas Glück die große Farbpalette dieser Tiere bestaunen. Kaum eine andere Schlange kommt in so vielen Farbvariationen vor wie die Kreuzotter: braun, grau, gelblich, rotbraun, kupferfarben oder olivgrün und jeweils mit dem dunklen Zickzack-Band auf dem Rücken, das am Hinterkopf in einer x-förmigen Zeichnung endet. Im Wurzacher Ried und in anderen Moorgebieten kann die Kreuzotter auch ganz schwarz gefärbt sein und wird dann auch Moorviper oder Höllenotter genannt. Die Tiere haben in der kühlen Umgebung der Moore vermutlich Vorteile bei der Thermoregulation, weil sich ihr schwarzer Körper in der Sonne schneller aufheizen kann. 
Frühlingszeit ist bei der Kreuzotter Paarungszeit. Frisch gehäutet erstrahlen die Männchen in der Sonne im schönsten Hochzeitskleid. Durch sogenannte Kommentkämpfe werben sie um die Gunst der Weibchen. Bei diesem Kräftemessen umschlingen sich die Kontrahenten liegend oder mit aufgerichtetem Körper, ohne sich dabei zu verletzen. In der Regel geben die schwächeren Männchen rasch auf und fliehen. Nach der Paarung, die zwischen allen Farbvarianten und auch zwischen gemusterten Tieren und Schwärzlingen erfolgen kann, wandern die Männchen meist in andere Gebiete ab, während die Weibchen den Paarungsplatz noch längere Zeit zum Sonnen nutzen. Als weitere Anpassung an kühlere Temperaturen bringen Kreuzottern lebende Junge zur Welt. Sie brüten die Eier im Mutterleib aus, da diese dort ständig den wärmenden Sonnenstrahlen ausgesetzt sind. Daher nehmen die Weibchen während der Tragzeit möglichst viel Sonnenwärme auf. Während oder direkt nach der Geburt, die in der Regel zwischen August und Oktober erfolgt, durchstoßen die jungen Schlangen dann die dünne Eihaut. Danach sind sie sofort selbständig und auf sich alleine gestellt. 
Kreuzottern sind sehr scheu und flüchten bei Gefahr. Nur in Ausnahmefällen beißen sie zu, setzen bei der Verteidigung aber meist kein oder nur wenig Gift ein, um es für den Beutefang zu sparen. Übermäßige Angst ist also nicht nötig. Vielmehr benötigt die Kreuzotter unseren Schutz. Wurden vor 120 Jahren noch jährlich zehntausende Tiere erschlagen und Fangprämien ausgesetzt, so ist die Art heute in Deutschland stark gefährdet. In diesem Jahr wurde die Kreuzotter daher zum Reptil des Jahres gewählt. Der Verlust ihrer Lebensräume hat der Schlange stark zugesetzt und als kälteliebende Art ist sie zudem eine Verliererin des Klimawandels. Im Wurzacher Ried befindet sich noch eines ihrer letzten Refugien. Daher hat das Naturschutzzentrum die Kreuzottern im Wurzacher Ried in diesem Jahr besonders im Blick. Apropos Blick: Anhand ihrer senkrecht stehenden Pupillen kann man die giftige Kreuzotter leicht von der ungiftigen Ringelnatter, die runde Pupillen hat, unterscheiden. Riskieren Sie also auch mal einen zweiten Blick und schauen Sie den Schlangen ganz tief in die Augen.
 

 

Kiebitz (Vogel des Jahres 2024)Quelle: Thomas Muth

 

Im Sinkflug

Bereits seit über 50 Jahren wird in Deutschland jedes Jahr ein „Vogel des Jahres“ gekürt. Anfangs durch die Naturschutzverbände, inzwischen durch eine Wahl der Bevölkerung. In diesem Jahr hat der Kiebitz das Rennen gemacht. Mit dem Slogan „Wasser marsch“ steht er dabei auch für den Schutz seiner Lebensräume: Moore und andere Feuchtgebiete.
 
Mit seinem Wahlsieg ist der Kiebitz nur vordergründig ein Gewinner, denn zur Wahl stehen insbesondere Vogelarten, die direkt oder durch den Verlust ihrer Lebensräume bedroht sind und daher stärker in das Bewusstsein gerückt werden sollen. Dabei war der Vogel mit der markanten Federholle auf dem Kopf und dem charakteristischen, schmetterlingsarten Flug früher ein Allerweltsvogel und nahezu überall auf Wiesen, Weiden und Äckern anzutreffen. Weithin hörbar schallte sein „Ki-witt, k-iwitt“ durch die Landschaft, das dem Vogel auch seinen Namen gab. Übersetzt als „Komm mit, komm mit“ interpretierte man die Rufe in manchen Gegenden allerdings als Lockrufe in die Unterwelt und stigmatisierte den Vogel so zum Unheilbringer. Andernorts galt er als Glücksbringer oder Liebesmagier, was nicht weiter verwundert, wenn man die extravaganten Flugdarbietungen der werbenden Kiebitz-Männchen betrachtet. Mit kräftigen Flügelschlägen fliegen sie los, starten dann senkrecht nach oben durch, um sich anschließend mit Überschlägen und Drehungen um die eigene Achse taumelnd nach unten zu stürzen und erst im letzten Moment wieder in die Höhe zu ziehen. Die anspruchsvollen Kiebitz-Weibchen aber geben sich keineswegs mit dieser spektakulären Flugshow zufrieden. Sie fordern auch noch einen wippenden Bodentanz ein, bevor sie mit der Familiengründung einverstanden sind. Das Gelege der Kiebitze ist im Gegensatz zur auffälligen Balz meisterhaft unauffällig. Die vier Eier werden auf den nackten oder nur mit wenigen Halmen angerichteten Boden gelegt, wo sie durch ihre Farbgebung mit dem Untergrund optisch verschmelzen. Sollten sich Fressfeinde nähern, locken die Eltern diese mit vorgetäuschter Flugunfähigkeit humpelnd und mit hängenden Flügeln vom Nest weg. „Verleiten“ nennt man diese raffinierte Täuschungsaktion. 

Trotz dieser Anpassungen sind die Rufe der Kiebitze vielerorts verstummt. Früher setzte ihnen eine direkte Verfolgung zu, heute ist es die intensive Landnutzung, die durch Entwässerung von Feuchtgebieten die ursprünglichen Lebensräume der Kiebitze nahezu vollständig zerstört hat. Die Bestände des Flugakrobaten befinden sich im drastischen Sinkflug. In Deutschland ist der Vogel inzwischen stark gefährdet, in Baden-Württemberg vom Aussterben bedroht. Häufig brütet die Art nur noch in Restvorkommen auf Ersatzlebensräumen wie Äckern, wo die kleinen Bestände durch die frühe Bodenbearbeitung und Fressfeinde meist keine Chance haben. Das Naturschutzzentrum Wurzacher Ried hat den Kiebitzschutz in diesem Jahr in den Fokus gerückt. Zehn bis zwölf Brutpaare konnten bereits im und um das Wurzacher Ried festgestellt werden, wodurch die enorme Bedeutung dieses Gebietes wieder einmal unterstrichen wird. Einige Gelege wurden mit Drahtkörben gegen Fressfeinde geschützt. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie bei ihrem Spaziergang mal einen Kiebitz im Korb entdecken. Gute Chancen, die Vögel bei der Nahrungssuche oder ihren Flugdarbietungen zu beobachten, bestehen übrigens im Bereich der Wasserbüffelweide am westlichen Rand des Rieds. Von den vierbeinigen Landschaftspflegern, die sowohl die Strukturvielfalt als auch das Insektenangebot erhöhen, profitiert auch unser Jahresvogel. 
 

Das Naturschutzzentrum präsentiert unter der Rubrik „Moor-Momente“ regelmäßig Spannendes und Unterhaltsames aus der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt des Wurzacher Rieds. Dabei werden Arten vorgestellt, die die Besucher aktuell im Ried antreffen können.  
 

 

So erreichen Sie uns

Kontakt

Naturschutzzentrum Wurzacher Ried
Rosengarten 1
88410 Bad Wurzach

Tel.: 07564 302 190

E-Mail schreiben

www.moorextrem.de

Anreise